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Dee Dee Bridgewater bricht eine Lanze für Frauen im Jazz

Ein Interview von Martina Knecht | Read original English article

Dee Dee Bridgewater war der absolute Star in Ascona. Auf der Bühne trug sie eine Kreation der Tessiner Hutmacherin Senta Nussberger Muanda. Alle Fotos in diesem Beitrag sind von Gioele Pozzi, © 2022 JazzAscona.



Ich halte es für unsere Pflicht, die Kultur in Richtung eines Umfelds zu bewegen, in dem Frauen, die so viel zu dieser einzigartigen Kunstform beigetragen haben und weiterhin beitragen, willkommen geheissen, gefeiert und unterstützt werden.

Sie gilt als eine der grössten lebenden Jazz-Sängerinnen, in der Tradition von Ella Fitzgerald und Billie Holiday. Ihnen hat sie zwei Alben gewidmet: Dear Ella (1998) und Eleanora Fagan: To Billie with Love From Dee Dee Bridgewater (2009), für die sie mit drei Grammy Awards ausgezeichnet wurde. Die aussergewöhnliche Karriere dieser Weltklasse-Sängerin führte sie an die Seite von Künstlern wie Thad Jones, Mel Lewis, Dexter Gordon, Dizzy Gillespie, Max Roach, Sonny Rollins und Ray Charles und zu Auftritten in gefeierten Musicals und Theaterproduktionen. Dee Dee Bridgewater arbeitet schon seit vielen Jahren mit dem New Orleans Jazz Orchestra zusammen. Am 2. Juli 2022, sieben Jahre nach ihrem ersten gemeinsamen Auftritt in Ascona, gaben sie bei JazzAscona ein Konzert der Extraklasse.


Im Gespräch mit Dee Dee Bridgewater entdecke ich eine kultivierte Persönlichkeit, die es schafft, ihre Wut in kreative Kraft für eine gerechtere Welt umzuwandeln – angefangen mit der Musikindustrie. Die Gleichstellung von Mann und Frau ist ein grosses Thema.


Dee Dee Bridgewater und das New Orleans Jazz Orchestra lieferten den Höhepunkt von JazzAscona 2022.



Dee Dee Bridgewater, Sie haben bereits im Jahr 2015 das Publikum von JazzAscona in Ihren Bann gezogen. Wie war diese Erfahrung und worauf freuen Sie sich dieses Jahr besonders?


In Ascona lernte ich 2015 viele Musikerinnen und Musiker kennen. Es entstanden Projekte, und es entstanden Freundschaften, die bis heute halten. Der künstlerische Austausch hat mir sehr viel gegeben. Ich bedaure nur, dass ich keine Zeit hatte, durch die Gassen von Ascona zu schlendern. Das werde ich nun hoffentlich nachholen können!



Sie treten in Ascona wieder mit der New Orleans Jazz Orchestra auf. Wie kam es zu dieser Zusammenarbeit?


Alles begann mit Irvin Mayfield, dem Gründer und ehemaligen künstlerischen Leiter des Orchesters. Ich habe in den letzten Jahren intensiv mit ihm zusammengearbeitet, mit dem Ziel, das New Orleans Jazz Orchestra bekannt zu machen. Daraus entstand sogar eine Platte, bevor ich mich von dem Projekt ablöste. (...) Jetzt, wo Adonis Rose die Leitung übernommen hat, habe ich mich wieder engagieren wollen. Und so bin ich erneut mit dem New Orleans Jazz Orchestra auf Tournee!



Ich kann Ungerechtigkeit nicht ertragen, und die Wahrheit ist, dass ich wütend bin.

Sie haben sich immer schon an verschiedenen Musikstilen orientiert, und es scheint mir, dass Sie sich auf keinen besonderen festlegen wollen.

Im Allgemeinen glaube ich nicht, dass irgendjemand es mag, mit einem Etikett versehen zu werden, aber ich habe jetzt meinen Frieden damit gemacht, dass ich eine Jazzsängerin bin. Das akzeptiere ich, auch wenn meine Interessen sehr viel breiter gefächert sind und mich in der Tat immer weiter von dieser Definition wegführen. Dass sogar meine neueste Platte Memphis... Yes, I’m Ready, die 2017 erschienen ist, in der Kategorie Jazz landete, brachte mich zum Lächeln. Ich arbeite derzeit an einer Musicalproduktion für den Broadway und erwäge, ein zweites Musical zu inszenieren, das mir vorgeschlagen wurde. Ich bin seit vielen Jahren auf den Bühnen unterwegs. Das ist in einer zutiefst männergeprägten Branche wie die Musikindustrie kein leichtes Unterfangen. Ich kann Ungerechtigkeit nicht ertragen, und die Wahrheit ist, dass ich wütend bin. An diesem Punkt meiner Laufbahn ziehe ich es vor, meine Energie an anderen Fronten zu investieren.



Beziehen Sie sich auf Ihr Mentoring-Programm für Frauen in der Jazzszene?

Ganz genau. Ich halte es für unsere Pflicht, die Kultur in Richtung eines Umfelds zu bewegen, in dem Frauen, die so viel zu dieser einzigartigen Kunstform beigetragen haben und weiterhin beitragen, willkommen geheissen, gefeiert und unterstützt werden. Das Woodshed Network ist ein Programm, das vor drei Jahren ohne grosses Aufsehen ins Leben gerufen wurde – weil ich ungern meinen Namen dazu benutze, um hinauszuposaunen, was ich so tue – und es entwickelt sich zu etwas Grossem. Hauptsächlich durch Mundpropaganda. Es handelt sich um einen einjährigen Weiterbildungskurs für Jazzmusikerinnen, die sich in der Musikindustrie selbstbewusster bewegen wollen. Ein Karriereschub, der es bereits zahlreichen Musikerinnen ermöglicht hat, an spannenden Projekten teilzunehmen oder ihren Platz in einer Band zu finden.


Wir werden nicht aufhören, bis Frauen auf der Bühne die Norm sind.

Bei diesem Projekt arbeiten Sie mit Ihrer Tochter Tulani Bridgewater-Kowalski zusammen. Kann man sagen, dass Sie ein Vermächtnis für die künftigen Generationen aufbauen?

Ja, meine Tochter und ich setzen uns beide für einen reellen Wandel ein. Wir müssen das Paradigma durchbrechen, und wir werden nicht aufhören, bis Frauen auf der Bühne die Norm sind.


Wenn ich in der Begleitung von einem reinen Frauenquintett oder -sextett zu einem Konzert gehe, finden das die Organisatoren oft sonderbar. Sie fragen mich dann, warum ich sie nicht früher gewarnt hätte. Gewarnt. Und ich, ohne mit der Wimper zu zucken: «Warum sollte ich?»


Kurzum, Martina, es liegt noch ein weiter Weg vor uns...



 

Das Interview von Martina Knecht mit Dee Dee Bridgewater ist am 1. Juli 2022 in der Tessiner Presse erschienen.











Dee Dee Bridgewater Interview Tessiner Zeitung 01.07
.2022 (DE)
Download 2022 (DE) • 3.55MB

 

Dee Dee Bridgewater und ich in Ascona am Tag des Konzerts, kurz vor der Probe mit dem New Orleans Jazz Orchestra, in einem Schnappschuss von Luca Martinelli. Das Pressebüro von JazzAscona, in dem ich im Halbdunkel der sturmgepeitschten Fensterläden arbeitete, befand sich ein Stockwerk über dem Proberaum. Die verschlafenen Korridore und Klassenzimmer des Collegio Papio wurden stundenlang von der schönsten Musik durchdrungen. Was soll ich sagen? Ich liebe meinen Job!

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